Wolfgang Ullrich
Der Katalog macht die Kunst
Von Katharina Bahlmann
07. August 2009 Solange
wir einem Kunstwerk nicht im Original gegenübergestanden haben, scheint
uns die Erfahrung dieses Werkes nicht vollständig zu sein. Umgekehrt
kämen wir jedoch wohl nie auf die Idee, dass unsere Kenntnis eines
Kunstwerkes Lücken aufweisen könnte, haben wir lediglich das Original,
aber keine einzige Reproduktion – keine Katalogabbildung, kein Poster
oder Kalenderblatt – gesehen. Der Mythos von der Aura des originalen
Kunstwerkes ist so beherrschend, dass der Reproduktion der Ruf
anhaftet, im Vergleich zum Original geradezu überflüssig zu sein.
Was aber wäre, wenn weniger die künstlerischen Originale als vielmehr die davon angefertigten Reproduktionen den Lauf der Kunstgeschichte bestimmten und sich der Wandel des künstlerischen Ausdrucks vor allem der Weiterentwicklung der Reproduktionstechniken verdankte? Sind die künstlerischen Originale vielleicht nur eine Vorstufe zur Kunst, die ihre eigentliche Vollendung allererst in den Reproduktionen findet?
Reproduktion als Vollendung
In seinem jüngsten Buch
spielt Wolfgang Ullrich diesen Gedanken durch, indem er das Verhältnis
zwischen Original und Reproduktion von der frühen Neuzeit bis zur
Gegenwart exemplarisch erläutert. Es geht ihm darum, die Reproduktion
als einen wesentlichen Ort der Kunst vor Augen zu führen und damit dem
herrschenden Originalkult gegenzusteuern: „Es wäre viel erreicht, wenn
man im ‚Original‘ künftig nicht mehr nur das Unmittelbare und
Ursprüngliche suchte, sondern darin zugleich das Anfängliche, noch
Unfertige und Unvollkommene sähe. Im Gegenzug – ohne jedoch eine simple
Umkehr bisheriger Wertungen zu propagieren – sollte es üblich werden,
‚Reproduktion‘ statt als Abklatsch vielmehr als Reprise und zweiten
Anlauf, als Differenzierung und Pendant, als Reflexion und Raffinement
zu schätzen.“
Deutlich werden die Möglichkeiten der Reproduktion
zunächst anhand von historischen Beispielen, findet die Urteilsbildung
über Kunst doch seit dem fünfzehnten Jahrhundert primär auf der Basis
von Reproduktionen statt. Denn mehr noch als in unserer von
Massenmedien durchfluteten Gegenwart haben die Menschen früherer
Jahrhunderte ein Gemälde zumeist über Reproduktionen kennengelernt und
folglich auch bewertet. Insofern drängt sich für Ullrich die Frage auf,
ob „die Konkurrenz der Künstler nicht vor allem eine Konkurrenz ihrer
Reproduktionen“ ist.
Die Rolle der Fotografie
Aus diesem Bewusstsein heraus hat beispielsweise Rubens eng mit den
Stechern seiner Werke zusammengearbeitet und die Übertragung seiner
Gemälde in Kupferstiche wesentlich mitbestimmt. Da sich nicht alle
malerischen Effekte in den zeichnerischen Stil eines Stiches übersetzen
lassen, hat er seine Bilder für die Reproduktion nicht selten
umgearbeitet und neue Bildlösungen formuliert. Zusätzlich bilden Stiche
ein Gemälde in der Regel seitenverkehrt ab, so dass sie nie einfach nur
die Kopie eines Werkes sind. Nicht selten wurden sie daher von ihren
Zeitgenossen als Übersetzungs- und Interpretationsleistungen geschätzt,
die zu einer aufmerksamen Betrachtung und Reflexion anregen.
Mit
dem Aufkommen der Fotografie gerät diese Interpretationsleistung der
Reproduktion in Vergessenheit. Denn die Fotografie rückt das Original
derart in den Vordergrund, dass sich für Ullrich die Frage aufdrängt,
ob nicht der Originalkult gerade eine Folge der Treue der Fotografie
zum Kunstwerk darstellt. Der Topos, ein Original sei nicht wirklich
reproduzierbar, taucht erst in dem Moment auf, in dem mit der
Fotografie exaktere Reproduktionen als je zuvor im Umlauf sind.
Die Fotos im Katalog
Die Fotografie bringt es mit sich, dass ein Künstler die Reproduktion nicht mehr – so wie einst Rubens – gegenüber dem Gemälde verändern kann. Das Kunstwerk selbst muss sich folglich von vornherein zur fotografischen Reproduktion eignen, es muss fotogen sein. Fotogenität bedeutet für Ullrich, dass das Werk in der fotografischen Reproduktion erst wirklich vollendet und perfektioniert erscheint. Insofern birgt die Fotografie zwar auch die Gefahr, allzu schnell zu befriedigen beziehungsweise in ihrer Glätte und Sterilität uninteressant zu sein. Aber für den Autor geht es darum, die fotografische Reproduktion so einzusetzen, dass sie die Anschauung des Betrachters in gewisser Weise über das Original hinausführt und die Phantasie anregt.
Als ein positives Beispiel
dafür, wie die fotografische Reproduktion ein Kunstwerk bereichern
kann, führt Ullrich die Arbeiten der Künstlerin Katharina Fritsch an:
Ihre Installationen, die im Original Spuren der Abnutzung aufweisen,
wirken in den fotografischen Reproduktionen – dank eines gut gewählten
Aufnahmewinkels sowie der Reinheit des fotografischen Mediums –
veredelt und perfektioniert. Die Installation stellt für Fritsch ein
„dreidimensionales Bild“ dar, das aus einem „immateriellen Bild“ im
Kopf entsteht und in der fotografischen Abbildung in die Form eines
zweidimensionalen Bildes zurückkehrt. Die Realität des Werkes wird
somit dazu genutzt, einen Kreislauf der Bilder in Gang zu setzen.
„Kunst wird als Wechselspiel, als fortwährender Übergang zwischen
Bildern und der Wirklichkeit begriffen.“
Kunstgeschichtliche Inszenierungen
Auch auf die Bedeutung der Reproduktion für das kunsthistorische Arbeiten geht der Autor ein. Seine Überlegungen – beispielsweise zur Diaprojektion oder zur Gestaltung von Kunstkatalogen – bringen die Reproduktion als Inszenierung von Kunstwerken in den Blick. Ähnlich wie ein Musiker eine Melodie zur Aufführung bringt, kann demnach auch ein Werk der bildenden Kunst in einer Abfolge von Ausschnitten und Abbildungen aufgeführt werden. Stets drückt sich dabei das Bedürfnis aus, mehr aus der Kunst zu machen.
Die aufgeworfenen Fragen zum Verhältnis von Original und Reproduktion nehmen sowohl den Herstellungs- als auch den Rezeptionsprozess von Kunst in den Blick und verschränken beide über die Perspektive der Reproduktion auf eindrucksvolle Weise. Elegant und anschaulich korrigiert Ullrich die einseitige Fixierung auf das Original. Er besticht durch eindringliche Beispiele und gibt zahlreiche Anstöße, den eigenen Blick auf unseren Umgang mit Kunst – ob nun mit Reproduktionen oder Originalen – zu schärfen.
Wolfgang Ullrich: „Raffinierte Kunst“. Übung vor Reproduktionen. Wagenbach Verlag, Berlin 2009. 156 S., 64 Farb- u. S/W-Abb., geb., 22,90 €.Buchtitel: Raffinierte Kunst
Buchautor: Ullrich, Wolfgang
Text: FAZ.NET
Bildmaterial: verlag
http://www.faz.net/s/RubC17179D529AB4E2BBEDB095D7C41F468/Doc~EB48FCFD0440D42E5B4C315047AB92CFD~ATpl~Ecommon~Scontent.html
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