Kunst

Wolfgang Ullrich, Übung vor Reproduktion

김남시 2009. 8. 8. 23:35

Wolfgang Ullrich

Der Katalog macht die Kunst

Von Katharina Bahlmann



07. August 2009 Solange wir einem Kunstwerk nicht im Original gegenübergestanden haben, scheint uns die Erfahrung dieses Werkes nicht vollständig zu sein. Umgekehrt kämen wir jedoch wohl nie auf die Idee, dass unsere Kenntnis eines Kunstwerkes Lücken aufweisen könnte, haben wir lediglich das Original, aber keine einzige Reproduktion – keine Katalogabbildung, kein Poster oder Kalenderblatt – gesehen. Der Mythos von der Aura des originalen Kunstwerkes ist so beherrschend, dass der Reproduktion der Ruf anhaftet, im Vergleich zum Original geradezu überflüssig zu sein.


Was aber wäre, wenn weniger die künstlerischen Originale als vielmehr die davon angefertigten Reproduktionen den Lauf der Kunstgeschichte bestimmten und sich der Wandel des künstlerischen Ausdrucks vor allem der Weiterentwicklung der Reproduktionstechniken verdankte? Sind die künstlerischen Originale vielleicht nur eine Vorstufe zur Kunst, die ihre eigentliche Vollendung allererst in den Reproduktionen findet?


Reproduktion als Vollendung


In seinem jüngsten Buch spielt Wolfgang Ullrich diesen Gedanken durch, indem er das Verhältnis zwischen Original und Reproduktion von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart exemplarisch erläutert. Es geht ihm darum, die Reproduktion als einen wesentlichen Ort der Kunst vor Augen zu führen und damit dem herrschenden Originalkult gegenzusteuern: „Es wäre viel erreicht, wenn man im ‚Original‘ künftig nicht mehr nur das Unmittelbare und Ursprüngliche suchte, sondern darin zugleich das Anfängliche, noch Unfertige und Unvollkommene sähe. Im Gegenzug – ohne jedoch eine simple Umkehr bisheriger Wertungen zu propagieren – sollte es üblich werden, ‚Reproduktion‘ statt als Abklatsch vielmehr als Reprise und zweiten Anlauf, als Differenzierung und Pendant, als Reflexion und Raffinement zu schätzen.“


Deutlich werden die Möglichkeiten der Reproduktion zunächst anhand von historischen Beispielen, findet die Urteilsbildung über Kunst doch seit dem fünfzehnten Jahrhundert primär auf der Basis von Reproduktionen statt. Denn mehr noch als in unserer von Massenmedien durchfluteten Gegenwart haben die Menschen früherer Jahrhunderte ein Gemälde zumeist über Reproduktionen kennengelernt und folglich auch bewertet. Insofern drängt sich für Ullrich die Frage auf, ob „die Konkurrenz der Künstler nicht vor allem eine Konkurrenz ihrer Reproduktionen“ ist.


Die Rolle der Fotografie



Aus diesem Bewusstsein heraus hat beispielsweise Rubens eng mit den Stechern seiner Werke zusammengearbeitet und die Übertragung seiner Gemälde in Kupferstiche wesentlich mitbestimmt. Da sich nicht alle malerischen Effekte in den zeichnerischen Stil eines Stiches übersetzen lassen, hat er seine Bilder für die Reproduktion nicht selten umgearbeitet und neue Bildlösungen formuliert. Zusätzlich bilden Stiche ein Gemälde in der Regel seitenverkehrt ab, so dass sie nie einfach nur die Kopie eines Werkes sind. Nicht selten wurden sie daher von ihren Zeitgenossen als Übersetzungs- und Interpretationsleistungen geschätzt, die zu einer aufmerksamen Betrachtung und Reflexion anregen.


Mit dem Aufkommen der Fotografie gerät diese Interpretationsleistung der Reproduktion in Vergessenheit. Denn die Fotografie rückt das Original derart in den Vordergrund, dass sich für Ullrich die Frage aufdrängt, ob nicht der Originalkult gerade eine Folge der Treue der Fotografie zum Kunstwerk darstellt. Der Topos, ein Original sei nicht wirklich reproduzierbar, taucht erst in dem Moment auf, in dem mit der Fotografie exaktere Reproduktionen als je zuvor im Umlauf sind.



Die Fotos im Katalog


Die Fotografie bringt es mit sich, dass ein Künstler die Reproduktion nicht mehr – so wie einst Rubens – gegenüber dem Gemälde verändern kann. Das Kunstwerk selbst muss sich folglich von vornherein zur fotografischen Reproduktion eignen, es muss fotogen sein. Fotogenität bedeutet für Ullrich, dass das Werk in der fotografischen Reproduktion erst wirklich vollendet und perfektioniert erscheint. Insofern birgt die Fotografie zwar auch die Gefahr, allzu schnell zu befriedigen beziehungsweise in ihrer Glätte und Sterilität uninteressant zu sein. Aber für den Autor geht es darum, die fotografische Reproduktion so einzusetzen, dass sie die Anschauung des Betrachters in gewisser Weise über das Original hinausführt und die Phantasie anregt.

Als ein positives Beispiel dafür, wie die fotografische Reproduktion ein Kunstwerk bereichern kann, führt Ullrich die Arbeiten der Künstlerin Katharina Fritsch an: Ihre Installationen, die im Original Spuren der Abnutzung aufweisen, wirken in den fotografischen Reproduktionen – dank eines gut gewählten Aufnahmewinkels sowie der Reinheit des fotografischen Mediums – veredelt und perfektioniert. Die Installation stellt für Fritsch ein „dreidimensionales Bild“ dar, das aus einem „immateriellen Bild“ im Kopf entsteht und in der fotografischen Abbildung in die Form eines zweidimensionalen Bildes zurückkehrt. Die Realität des Werkes wird somit dazu genutzt, einen Kreislauf der Bilder in Gang zu setzen. „Kunst wird als Wechselspiel, als fortwährender Übergang zwischen Bildern und der Wirklichkeit begriffen.“


Kunstgeschichtliche Inszenierungen

Auch auf die Bedeutung der Reproduktion für das kunsthistorische Arbeiten geht der Autor ein. Seine Überlegungen – beispielsweise zur Diaprojektion oder zur Gestaltung von Kunstkatalogen – bringen die Reproduktion als Inszenierung von Kunstwerken in den Blick. Ähnlich wie ein Musiker eine Melodie zur Aufführung bringt, kann demnach auch ein Werk der bildenden Kunst in einer Abfolge von Ausschnitten und Abbildungen aufgeführt werden. Stets drückt sich dabei das Bedürfnis aus, mehr aus der Kunst zu machen.

Die aufgeworfenen Fragen zum Verhältnis von Original und Reproduktion nehmen sowohl den Herstellungs- als auch den Rezeptionsprozess von Kunst in den Blick und verschränken beide über die Perspektive der Reproduktion auf eindrucksvolle Weise. Elegant und anschaulich korrigiert Ullrich die einseitige Fixierung auf das Original. Er besticht durch eindringliche Beispiele und gibt zahlreiche Anstöße, den eigenen Blick auf unseren Umgang mit Kunst – ob nun mit Reproduktionen oder Originalen – zu schärfen.

Wolfgang Ullrich: „Raffinierte Kunst“. Übung vor Reproduktionen. Wagenbach Verlag, Berlin 2009. 156 S., 64 Farb- u. S/W-Abb., geb., 22,90 €.



Buchtitel: Raffinierte Kunst
Buchautor: Ullrich, Wolfgang

Text: FAZ.NET
Bildmaterial: verlag


http://www.faz.net/s/RubC17179D529AB4E2BBEDB095D7C41F468/Doc~EB48FCFD0440D42E5B4C315047AB92CFD~ATpl~Ecommon~Scontent.html